An den Tango |
Wenig gibt es, das so tief und bezwingend, so sehr verändernd in mein Leben trat. Nicht im Traum hätt’ ich vorher geglaubt, daß es für mich etwas geben könnte wie dich. Du bist die Kraft, die uns Mutter Erde verleiht. Bleib ich am Boden, halt’ ich Kontakt mit ihr, schenkt sie mir den nächsten Schritt. Ich verdanke dir viel: Laufen erlernte ich neu durch dich und erfuhr andere Dinge mehr. Vierunddreißig Geburtstage erlebte ich ohne dich, und vertanzt habe ich seitdem zehn. Ungewiß ist, was kommt. Falls es nicht Hochmut ist, wünsche ich mir Geburtstage in gleicher Zahl noch dazu oder mehr. Eines jedoch ist klar: Dann zerfalle ich, werd’ Staub, der ich vorher war. Du wirst länger als ich leben, begleitest mich, hoff’ ich, so wie durch mein Leben auch in den Tod. Ich erbitte darum Tangomusik am Grab, Rosen, Freunde, die voll Trauer nur gut von mir reden, die tanzend sich des eig’nen Daseins freu’n. Glück ist rar: Ich bekam meinen Anteil davon. |
Für Osvaldo Pugliese |
Erklingt Musik von dir im Saal, dann stehen sofort die Paare auf: Schon erhebt sich des Bandoneons rauhe Stimme es folgen alle dem Takt, bis deine Melodie sich formt. Gleich einem verspielten Schmetterling fliegt sie über das Parkett, sich einmal hierher zu setzen, dort kurz darauf ganz unvermutet wieder aufzufliegen und eine Schleife zu dreh’n. Dann fliegt sie plötzlich aus dem Fenster, weiter zum Siegeszug um die Welt. So viele komponierten nur Musik für das Hören, andere nur zum Tanzen: Beides glückte dir in einem. Oft legten dir zum Konzert die Freunde eine Nelke auf den Platz, hielt die Junta dich eingesperrt. Ich lege dir hier Verse auf dein Klavier, des Dichters schönstes Geschenk. |
Fluss im Winter (für Ovid) |
Zu Kristallen erstarrt türmt sich der Himmel, stumm und eisig liegt der Strom. Vom anderen Ufer schimmert das dunkle Weidengesträuch durch den Reif. Leise dringt der traurige Ruf des Gimpels ans Ohr, doch nirgends ist die Farbe von Leben zu sehen, in grau und weiß liegt alles erfroren. An solchem Strom zwang der verbannte Dichter den immerwährenden Schmerz um seine verlor‘ne Heimat und die ferne Frau in unsterbliche Verse, wandelte sein doppeltes Leid um in Trost für alle, die der Sprache und des Fühlens mächtig im täglichen Tun das Leben nicht verlieren. Seltsam: Diesen Achat fand ich fern von hier am Rio Uruguay, wo nie Schnee vom Himmel fällt, nie jemand den Fluss eisbedeckt erblickte. |